Zur Geschichte der Deutschen in und
um Riga
Im Rahmen der „Osterweiterung“ des römischen Europas im Mittelalter,
um modernes Vokabular zu gebrauchen, kamen auch Missionare ins Baltikum.
Sie folgten den Spuren der Gotlandfahrer, als dem Kern der gerade
entstehenden Hanse und brachten zur Sicherheit aller Kommenden
„Pilger“ mit, gemeint waren bewaffnete Männer, die wenig später der
Ritterorden bilden sollten. Vom Osten her gab es ebenfalls eine
Missionsbewegung, die aber nur bis Pskow kam. Im heutigen Baltikum lebten
Stämme der finnougrischen (Esten und Liven), sowie der litauischen
Sprachfamilie, zu der die heutigen Letten gehören.
Im Jahre 1201 gründete
Bischof Albert von Bremen als Nachfolger von Meinhard und Berthold die
Stadt Riga. Mit ihm beginnt eine Zeit der militärischen Eroberung vom
Kurland bis nach Narwa. Die Grenzen sind im Osten Russland und im Süden
das Litauische Reich. Es entsteht ein Land, das von drei miteinander
rivalisierenden Herrschaftsformen geprägt ist: dem Bischof, dem
Ritterorden und den Städten, die Hanseordnungen haben. Die prägenden und
einflussreichen Posten bleiben Deutschen vorbehalten. Viele Burgen prägen
noch heute die Landschaft, zum größeren Teil Ruinen, zum Teil in Schlösser
umgewandelt. Mit der Zeit kamen wiederum deutsche Gutsherrschaften hinzu.
Zu einer deutschen Besiedlung wie zwischen Ratzeburg und Tilsit kam es
aber nicht.
Die Reformation ergriff
schnell das gesamte Baltikum einschließlich Litauen, wo es aber unter
litauisch-polnischer Herrschaft zur erfolgreichen Gegenreformation kam.
Die Ordensherrschaft wurde in Herzogstümer transformiert. Die
Volkssprachlichkeit, die von der Reformation her sich von selbst her hätte
verstehen sollen, ging nur zögerlich vonstatten, was an der sozialen Übermacht
der Deutschen lag.
1629 wurde der größere
Teil Lettlands Teil Schwedens, 1710 gewann der Zar die Kontrolle über das
Land. Über zwei Jahrhunderte blieb das Land unter russischer Herrschaft.
Die Zaren wussten das nationale Ungleichgewicht auszunutzen, indem sie
sich der bestehenden Machtverhältnisse bedienten. Deutschbalten waren überall
im russischen Reich in führenden Positionen zu finden.
Die Pastoren vor allem
außerhalb Rigas predigten üblicherweise deutsch und lettisch. Sie waren
wesentlich daran beteiligt, dass lettische (geistliche) Texte entstanden.
Auch das berühmte Sängerfest war zunächst ein Kirchenchortreffen.
Im 19. Jahrhundert
begann sich eine lettische Kultur zu etablieren. Um die wende zum 20.
Jahrhundert wurde Riga als drittgrößte Stadt Russlands zur
Jugendstilmetropole, was auch insofern bemerkenswert ist, als in jener
Zeit in Russland eine Kulturavantgarde sich entwickelte, die führend in
der Welt war.
Die russische
Revolution 1905 wurde auch die „lettische“ genannt, denn hier war sie
am heftigsten. Zielscheibe der Aufständigen waren vor allem die
Deutschen. Hier verband sich die Revolution mit dem Wunsch nach Selbstständigkeit.
Die Vergeltung des Zaren übertraf an Ausmaß die Gewalt der Aufständigen.
Im 1. Weltkrieg zeigte
sich die Spannung, die dadurch entsteht, dass die Deutschen der
Feindnation angehörten. Jetzt gerieten die Deutschen in doppelten Druck.
Die Situation eskalierte nach dem Krieg. Zur Selbstständigkeit der neuen
Lettischen Republik gehörte auch ein in die Schranken
Weisen der deutschen Minderheit.
In der evangelischen
Kirche kam es nicht zur Spaltung, sondern zum Neben- und Miteinander, was
auch den Persönlichkeiten der beiden Bischöfe Irbe und Poelchau zu
verdanken war. Sie hatten Mühe, an dieser Einheit festzuhalten.
Mit der Aufteilung
Osteuropas durch Hitler und Stalin geriet nicht nur das lettische Volk,
sondern auch die Deutschbalten in die Mühlen der großen Politik. Die
Parole „Heim ins Reich“ traf nicht das Empfinden der Flüchtenden. Die
Letten gerieten von einer Okkupation in die nächste. Der Versuch, sich
mit dem einen zu verbünden, um vom anderen los zu kommen, konnte keinen
Erfolg bringen. Lettland blieb besetzt, - bis zum Ende des Jahrhunderts.
Die Deutschen waren
fort. Es gab überall Menschen mit deutschen Wurzeln, aber sie wussten
sich als Letten. Andere Deutsche kamen, seit sie aus ihren
Verbannungsorten einen Platz in der Sowjetunion wählen durften, soweit er
nicht die alte Heimat war.
Und
es kamen Russen. Über 40 % der Bevölkerung von Riga sind Russen. Eine
schwierige Situation für beide Seiten. Jetzt ist Lettland nicht mehr Teil
der SU, sondern der EU. Die Deutschen kommen jetzt hauptsächlich als
Touristen und vertreten ein Land, das einst mit Gewalt daher kam und
jetzt, historisch schwer geschlagen und doch wieder reich, Toleranz für
Minderheiten fordert und ein grundsätzlich kritisches Verhältnis zu
jedem Nationalismus gewonnen hat. Es ergibt sich so ein überaus
interessantes Gesprächsfeld. |